Sühnhaus – Ein dokumentarischer Geisterfilm aus Wien

»Heute sind mir mehrere (...) Dinge eingefallen, die ich noch gar nicht recht verstehe.
Es arbeitet merkwürdiger Weise im untersten Stockwerk. «
(Sigmund Freud 1899 in einem Brief an Wilhelm Fließ)

Kurzinhalt

»Sühnhaus« ist die Geschichte einer glücklosen Adresse: Wien, Schottenring 7.
Hier stand das Ringtheater. Als es brannte, starben 400 Menschen.
Hier ließ der Kaiser das Sühnhaus bauen, um alles wieder gut zu machen. Und niemand wollte darin wohnen.

Hier eröffnete ein junger Nervenarzt seine Praxis. Und zog wieder aus, als sich eine Patientin ins Treppenhaus stürzte. Sein Name: Sigmund Freud.
Hier legte die GESTAPO Feuer, um Akten zu vernichten, und vernichtete des Kaisers angeblich unbrennbares Vermächtnis.
Hier wurde die Angst des Kalten Krieges in Beton gegossen: Wiens geheime Schaltzentrale, 18 Meter unter dem Boden, bis heute unberührt.
Der Essayfilm »Sühnhaus« nähert sich dieser Adresse, an der sich über die Jahrhunderte das Unglück schematisch wiederholte. Kann es sein, dass etwas an diesem Ort umgeht? Dass ein Geisterhaus steht - mitten in Wien?

Synopsis

Wie wäre es, einen dokumentarischen Geisterfilm zu drehen? Nicht eine Fake-Doku, sondern einen Dokumentarfilm, der eine reale Adresse und ihre Geschichte erkundet. Eine Adresse, an der sich das Unheil regelmäßig wiederholt. Die nicht zur Ruhe kommen will. Eine böse Adresse – aber gibt es so etwas überhaupt?

Im Genre der Geisterhausfilme macht ein Ort durch bestimmte Symptome auf seine vergiftete Atmosphäre aufmerksam: Risse tun sich in den Mauern auf, aus den Bodendielen quillt Blut. Häuser beginnen zu leben und die unterdrückten Gefühle ihrer Bewohner auszuagieren. Meist ist es ein Unrecht, dass sich im »haunted house« manifestiert. Im amerikanischen Horrorfilm ist es der planierte Indianerfriedhof, der unter dem Haus der Weißen rumort.

In Wien gibt es viele Adressen mit Geschichte, auch viele mit finsterer Vergangenheit. Interessant wird es dort, wo diese Vergangenheit verdrängt wird.

Der Schottenring 7 ist so ein Ort. Heute steht hier ein liebloser Zweckbau aus den siebziger Jahren: Die Landespolizeidirektion. Die Diskussion, sie an die Peripherie zu verlegen, um Platz für ein Hotel oder ein anderes in dieser Premium-Lage rentableres Gebäude zu machen, hat bereits begonnen. Die Tage der LPD mit ihrer Beton-Plattenfassade und den quadratischen Fenstern sind gezählt.

Bis 1952 stand an dieser Stelle das kaiserliche Stiftungshaus, im Volksmund »Sühnhaus« genannt. Ein Gebäude, das für ein vergangenes Unheil Sühne tun sollte. Ein Haus, das dem Guten geweiht war – und doch nur die Erinnerung an die größte Brandkatastrophe im Habsburgerreich wach hielt.

Denn 1881 brannte hier das Ringtheater ab: Eines der prächtigsten Theater der Stadt, das auf kleinster Grundfläche 1700 Besucher aufnahm. Das Ringtheater war der leichten Muse geweiht. Eine Bühne für das neue, wohlhabende Bürgertum. Sieben Jahre stand das Theater an dieser Adresse, sieben Direktoren gaben sich die Klinke in die Hand, bevor das Haus am Abend des 8. Dezember 1881, um sieben Minuten vor sieben ausbrannte und rund vierhundert Besucher in den Tod riss.

Kaum ein Ereignis in der Geschichte Wiens ist so gut dokumentiert wie der Ringtheaterbrand. Vom Augenzeugenbericht über die Prozessakten bis hin zu stereoskopischen Fotografien vom ausgebrannten Zuschauerraum ist alles in gut einem Dutzend Archiven quer über die Stadt verteilt. Warum weiß man also kaum etwas darüber?

Zum Thema Ringtheaterbrand fällt den meisten Wienern ein, dass in der Folge die Wiener Rettungsgesellschaft gegründet wurde. Dass seit dem großen Feuer die Brandschutzverordnungen strenger wurden und der eiserne Vorhang in Theatern Vorschrift ist - was alles stimmt. Aber es gibt noch eine andere Geschichte.

Der Film »Sühnhaus«“ begibt sich auf die Spur der 400 Brandopfer: Von deren Geschichte ausgehend erhebt sich der Blick des Films vom Einzelfall und entwirft eine Sittengeschichte der Stadt Wien, die als treibende Kraft über die Jahrhunderte und politischen Systeme wiederkehrende Grundstimmungen spürbar macht: Geltungsbedürfnis, Profitgier, Obrigkeitsdenken und natürlich immer wieder die Angst vor dem Tod. Diese Gefühle beseelen den Schottenring 7 – und vielleicht sind sie es, die dafür sorgen, dass sich hier das Unheil zyklisch wiederholt.
Das Sühnhaus, der Zudeckbau, der Unangenehmes vergessen machen sollte, war übrigens das erste Zuhause des jungen Ehepaares Sigmund und Martha Freud. Obwohl er selbst bereits Merkwürdiges und Bedrohliches an diesem Ort erlebt hatte, wollte Freud unbedingt in dem prächtigen neuen Haus am Schottenring wohnen. Freuds Tochter Mathilde war das erste Baby, das an diesem Ort des Todes geboren wurde: Als Schirmherr des Sühnhauses gratulierte der Kaiser dem noch unbekannten, jungen Arzt mit einer Vase. Im Frühjahr 1891 stürzte sich eine Patientin Freuds, die Ehefrau seines ehemals besten Freundes, ins Treppenhaus und starb. Im Herbst des gleichen Jahres zog Familie Freud um.
Das Sühnhaus, Freuds Wohnhaus, das die Stadt Wien noch 1952 abreißen ließ, obwohl es im Krieg nur oberflächlich beschädigt worden war, gibt dem Film seinen Titel. Es existiert nur noch in Plänen, Skizzen, Fotos und in der Erinnerung seines letzten noch lebenden Bewohners. Das »Sühnhaus«“ bleibt auch in diesem Film ein Enigma. Das rätselhafte Symptom einer verdrängten Schuld. Ein idealer Untersuchungsgegenstand für Sigmund Freud – der nach fünf unerfreulichen Jahren den Schottenring verließ und sein Glück andernorts suchte.

Der Stil

»Sühnhaus« ist ein Essayfilm, der aus extrem subjektiver Perspektive – der Perspektive der Regisseurin – auf die Ereignisse schaut. Assoziativ bewegt sich die Erzählung des Films durch die Zeiten. Eine Schredderanlage auf dem Wiener Zentralfriedhof, auf der neben alten Grabsteinen gelegentlich auch ein paar Knochen zermahlen werden, wird im Gedankenfluss von »Sühnhaus« zum Sinnbild für das Vergessen. So wie das brennende Theater letztlich auch für die – um nicht zu sagen für unsere – Gesellschaft in der Krise steht Als musikalisches Leitmotiv führt Mozarts Requiem, das beim Begräbnis der Toten gespielt wurde, durch den Film: »Dies illa, dies irae, calamitatis et miseriae, dies magna et amara valde. Dum veneris judicare saeculum per ignem.« - »Jener Tag, Tag des Zorns, des Unheils und des Elends, Tag so groß und bitter. Da du kommst, das Jahrhundert zu richten durch ein Feuer.«

Weil es von fehlenden Gebäuden und toten Menschen keine Bilder gibt – zumindest keine bewegten, wie ein Film sie braucht, hat die Wiener Künstlerin Michaela Mandel Animationen für den Film geschaffen: Sie brechen wie Träume in den Film ein und leiten von der Recherche über in die Erzählung.
So wie in klassischen Geisterhausfilmen bleibt von den ehemaligen Bewohnern eines Ortes nur die Subjektive: Eine Kamera (Steadycam), die durch die Flure schwebt. Ein Blick ohne Körper.